Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot ausging vom statistischen Bundesamt, dass ganz Deutschland geschätzt würde. Und diese Schätzung war nicht die erste, oh nein, denn bereits seit den fünfziger Jahren versucht man verzweifelt herauszufinden, wie viele Menschen in Deutschland leben. Aber diese Schätzung war MEINE erste, und sie begab sich im Jahre 1987.
Boah, ich kann mich noch erinnern, wie sich die Leute aufregten. Es wurde nach Schulabschluss gefragt und nach Wohnfläche und Anzahl der Autos, und böse Zungen behaupteten, dass auch Kinderkrankheiten und sexuelle Vorlieben abgefragt würden. Wurden sie nicht. Hätte aber keinen gewundert.
Warum ich nun gerade ausgewählt wurde, den ausschwärmenden Volkszählern Rede und Antwort zu stehen, war mir nie so ganz klar, aber da knapp jeder Zehnte befragt wurde, war das wohl nur Zufall. Ein ziemlicher Zufall.
Dann begab es sich im Jahre 2011, dass wieder gezählt wurde. Der Aufschrei der Bürger, die Angst hatten, dass ihre persönlichsten Daten jedem zugänglich gemacht wurden, war viel geringer als beim letzten Mal. Schließlich besaß so ziemlich jeder Bürger die tolle Kundenkarte des örtlichen Drogeriemarktes; jeder bekam den Newsletter des Kaufhauses am Markt mit den besten Angeboten und jeder, wirklich jeder Bürger, hatte Probleme mit entweder seiner Sexualität oder seinen Finanzen und bekam deshalb gutgemeinte Post in sein Emailpostfach, in der ihm wahlweise eine Penisverlängerung oder aber die Möglichkeit geboten wurde, sein Gehalt durch die Unterstützung eines kleinen, südafrikanischen Landes aufzubessern. Dass niemand von diesem Land je gehört hatte, beseitigte gleich ein weiteres Problem – mangelnde Erdkundekenntnisse. Jedenfalls hatte man selbst längst genug dafür getan, gläsern zu werden, und so waren die Fragen nach Schuhgröße, Migrationshintergrund und Anzahl der funktionierenden Toiletten kein großer Schock mehr. Erstaunt war ich nur darüber, dass es von „jedem Zehnten“ wieder mich erwischte. War ich so besonders, dass man auf MEINE Schuhgröße nicht verzichten konnte?
Wir befinden uns im Jahre 2022 nach Christus. Ganz Deutschland wird von den Volkszählern nach Essensvorlieben, Quadratmeterzahl (der Wohnung. Nicht von einem selber… hoffe ich zumindest) und Anzahl der probiotischen Darmbakterien im… wo auch immer… befragt. Ganz Deutschland? Neee, nur jeder zehnte. Und dabei hat das im Jahre 2011 schon nicht geklappt. Hamburg hatte plötzlich laut der Zählung über 80.000 Einwohner verloren (die aber aus irgendwelchen Gründen noch alle Steuern bezahlten). In Flensburg gingen ungefähr dreihundert Kinder verloren (die aber trotzdem regelmäßig die Kindergärten besuchten) und der kleine Ort Schwarzenbek besaß kein Haus, in dem mehr als 110 Leute wohnten. Außer man ging zu dem einen Hochhaus, ließ die Leute antreten und zählte per Hand nach. Da waren es dann 137…
Ach ja, und wieder bin ich es, die befragt wird. Langsam kommt mir der Gedanke, dass ich gar nichts Besonderes bin, sondern so schrecklich durchschnittlich, dass ich einfach an jedem Zensus teilnehmen MUSS, um die schlimmsten Fehler zu begradigen.
Eine Geschichte aus dem Jahre 2011 hat mir besonders gefallen. Eine Volkszählerin stand vor der Tür einer türkischen Familie. Papa war nicht da, Mama sprach kein Deutsch, also erklärte sich der zehnjährige Sohn der Familie bereit, zu antworten. Man kämpfte sich durch den Wust an Fragen und kam dann zu: welchen Schulabschluss haben die Eltern. Der Junge war sich nicht sicher. Wie auch. Man einigte sich dann auf einen Schulabschluss, der beiden – der Volkszählerin und dem Jungen – gut gefiel.
Möglicherweise… möglicherweise nur… kann an der Ausführung der Volkszählung noch etwas gearbeitet werden.
Aber sonst ist das sicher eine ganz tolle und sehr aussagekräftige Sache…